Ich möchte heute in der Reihe „Qigong als Therapie“ ein paar Ideen und Erfahrungen beschreiben, die mir in meiner inzwischen fast 35-jährigen Qigong- und KCM-Praxis immer wieder begegnet sind und mit der Idee des Auf-(s)bruchs in eine neue Welt zu tun haben.
Wenn die Leute beginnen, sich für Qigong und/oder Chinesische Medizin zu interessieren, so sind gesundheitliche Probleme der vielfältigsten Art – von nicht entspannen können, über körperliche Beschwerden bis hin zu emotionalen Störungen – zumeist der Auslöser.
Durch diesen „inneren“ Druck – wir merken, dass wir so, wie wir gelebt haben, nicht weiter machen können – entsteht im Herzen (Xin) ein deutlicherer Wunsch nach Einheit, nach Auf- bzw. Erlösung, ein Wunsch nach Frieden, nach innerer Ruhe, nach Schmerz- oder Beschwerdefreiheit, nach Glück, nach tieferer Freude, nach Heimat, nach Genesung und nach Heilung.
Durch die äußeren Reaktionen wie Schmerz oder Krankheit dringt die Botschaft des Herzens – die nebenbei bemerkt schon sehr viel länger in uns ruft – deutlicher zutage und wird nun endlich von der Gallenblase (Dan) erhört. Die Gallenblase ist es, die den ersten Schritt unternimmt, unsere Stagnation, unser geliebtes (Disharmonie-!) Muster zu verlassen und wirklich mal etwas Neues auszuprobieren.
Wir haben den Mut über unsere uns selbst auferlegten Grenzen hinweg zu bewegen und wirklich etwas Neues, etwas UNGEWOHNTES zu tun!
Und so begegnen wir der Chinesischen Medizin, die im Vergleich zur uns bekannten und verinnerlichten Schulmedizin wirklich eine exotische Herausforderung darzustellen scheint. Und so begegnen wir dem Qigong, dem Taijiquan und der Meditation, welche die Hauptmethoden der Therapie in dieser Medizinrichtung sind und sind zu Beginn so be-geist-ert von dem neuen Duft, der uns plötzlich umweht; von den neuen Informationen und Erfahrungen, die wir so nicht kennen und die uns irreal vorkommen aber eben sehr faszinierend sind.
Doch dann macht sich langsam Ernüchterung breit. Wir merken nach einiger Zeit – die individuell sehr unterschiedlich sein kann und Wochen, Monate oder gar Jahre betragen kann – dass es mit diesem, unserem ersten Schritt und ein paar weiteren mehr…;-)) nicht getan ist. Nach der Euphorie tauchen wieder, noch sanft aber doch deutlich wahrnehmbar, unsere alten Probleme auf oder wir spüren vermehrt den Widerstand unserer Umgebung gegen unsere neuen Ticks.
Uns wird sehr schmerzlich bewusst, dass es mit ein wenig Qigong am Morgen, einem netten Frühstücksbrei oder einer kleinen Meditation am Wochenende nicht getan ist. Aber auch der wöchentliche Kurs oder die wirklich schönen Wochenende des Lernens von Qigong oder Ähnlichem verlaufen zunehmend ebenfalls ambivalent. Sie sind schön, spannend und interessant, aber auch schmerzhaft, herausfordernd und anstrengend.
Unbehagen, Unzufriedenheit, Ernüchterung macht sich breit, aber auch Enttäuschung (von einer Täuschung befreit sein! ;-)) und sogar Wut taucht auf und es wird immer schwieriger mitzuhalten beim Lernen und beim Üben. Von den ständigen Auseinandersetzungen und Abwertungen vom Partner, der Partnerin, den Kindern, Eltern oder Freunden mal ganz zu schweigen.
Sie alle wollen uns – da wir sie durch unser kurzes Erwachen und unsere immer neuen Ideen ebenfalls in ihrem Herzen berühren und damit HERAUSFORDERN – wieder zurückholen in den Kreislauf des Leids. Sie wollen, dass wir wieder so werden wie vorher – was niemals möglich sein wird, selbst wenn wir es auch wollen – und endlich wieder Trott und Langeweile, aber eben gewohnt, verlässlich und KONTROLLIERBAR zurückkehren in den Alltag. Sie wollen weiter schlafen, während die KCM und das Qigong uns ins Erwachen führen wollen, weil eben nur dort HEILUNG möglich ist.
Ja, ich habe doch schon soooo viel geändert in unserem Leben, reicht es denn immer noch nicht?? Muss es denn noch mehr sein?? Hört das denn nie auf?? Das sind Sätze, die wohl jeder Praktizierende in der einen oder anderen Form kennt. Und sie sind wahr. Wahr im Sinne von, dass wir wirklich schon vieles geändert haben.
ABER, den großen Schritt, den Schritt ins wirklich Unbekannte, ins Dunkle, tief in Heilung hinein, haben wir noch nicht gemacht! Warum nicht?? Nun, weil Heilung dort zu finden ist, wo niemand hin möchte. Weil Heilung ein Prozess ist, aber dennoch auch ein klares Ziel, ein Ankommen kennt!
Weil ein Weg eben aus mehr als aus einem einzigen Schritt besteht. Und der Weg birgt eben Überraschungen, Herausforderungen und immer wieder NEUES.
Ach ja, der Weg ist das Ziel! Ja, aber auch dies muss richtig verstanden werden. Es bedeutet nicht, sich endlos diesem Weg hingeben zu müssen, sondern zu erkennen, dass der Weg wirklich das Ziel ist!! Hä?? 😉
Nun, der Weg verlangt ja gerade nach ständigem Wandel, nach ständigem neu annehmen von Herausforderungen, von Wiederholungen. Der Weg ist nicht gradlinig, wir verfahren uns halt auch mal, kommen mehrfach an dieselbe Stelle raus, fahren im Kreis, brauchen eine Pause und erleben die spannendsten Sachen und können ihn eben nicht kontrollieren, nur offen sein für ihn und ihn annehmen wie er uns erscheint (Wu).
Qigong, Taiji und Meditation trainieren dieses WU; trainieren es, unser Festhalten zu wandeln in Loslassen; unsere Gewohnheit zu wandeln in Neugier; unsere Ängste zu wandeln in Mut und unser Wunsch nach Kontrolle zu wandeln in Flexibiltät und Offenheit!